Das mache ich morgen. Wie oft hast Du das schon gehört, oder selbst gedacht? Aufschieben könnte perse' Bequemlichkeit sein, oder gar Faulheit, so wie es uns obiger Spruch vorgibt. Wenn es tatsächlich Faulheit wäre, dann wäre die Muße, die man gewinnt das erstrebenswerte Ziel. Das kann schon mal okay sein finde ich, oder?! Schließlich sind wir ja keine Pflichterfüllungsmaschinen ;-). Es muss übrigens auch gar nicht dieses "das mache ich morgen" sein. Manchmal läuft alles irgendwie ganz automatisch ab, indem man statt zu beginnen 1000 andere Sachen angeht und die Zeit ist plötzlich wie im Flug weg. Jetzt bleibt nur noch: Morgen packe ich es an. Unbedingt! Prokrastination oder Aufschieberei wird ja auch erst dann zum Problem, wenn sie uns, oder andere in einen Leidensdruck versetzt. Außerdem kann sie schnell dazu führen, dass wir nicht als verbindlich gelten und Vertrauen verlieren. Es bleibt dabei: Es lohnt sich genauer hinzuschauen.
Procrastinatio ist lateinisch und enthält den Wortstamm cras. Cras bedeutet morgen. Wenn wir aufschieben, dann vertagen wir eine Sache auf einen anderen Tag oder Zeitpunkt, wir beginnen nicht uns unserem Ziel anzunähern. Hast Du Dich schon mal gefragt, welche Dinge Du aufschiebst? Sind es eher schwierige Sachen, komplexe oder große Projekte, Dinge, die Du nicht gern tust? Oder welcher Art sind Deine "Aufgeschobenen"?
Ich habe zum ersten Mal beim Studium bemerkt, dass ich aufschiebe. Fächer, die ich nicht besonders mochte habe ich im Semester vernachlässigt und dann auch wirklich ganz knapp vor der Prüfung erst mit dem Lernen begonnen. Komischerweise ist es immer gut gegangen. Die Folge, ich habe diese Eigenschaft weiter gepflegt. So richtig cool war es allerdings nie, denn ich fühlte mich in der "freien" gewonnenen Zeit eben nicht wirklich frei. Das Kopfkino lief trotzdem und machte Stress: "Eigentlich "solltest", "müsstest" Du jetzt lernen, warnte eine Stimme und machte damit all die Dinge kaputt, denen ich stattdessen meine Aufmerksamkeit widmete. Schließlich hüpfte da auch noch so ein Mantra durch meinen Kopf: "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen." Solche Glaubenssätze machen es nicht leichter. Insofern bleibt meine Erfahrung: Aufschieben macht nicht glücklich. Oder doch?
Es gibt das Gute am Schlechten! Seit meiner Selbstständigkeit muss ich mir die meiste Zeit selbstverantwortlich einteilen. Klar gibt es Kundentermine und Deadlines, aber wann ich mir die Zeit für die Vorbereitung oder Zuarbeiten nehme interessiert keinen. Insofern bin ich ganz allein dafür verantwortlich wie und ob ich mich mit zusätzlichem Druckaufbau durch Prokrastination stresse. Aber ich wollte ja über das Gute sprechen. Das liegt aus meiner Sicht genau darin, dass ich flexible sein kann, wenn ich mich mit dieser möglichen Freiheit auch gefühlsmäßig arrangiere. Nehmen wir mal an, ich habe am Montag eine Veranstaltung zu moderieren und habe den ganzen Freitag für die finale Vorbereitung eingeplant. das Wetter ist traumhaft und mein Mann fragt mich, ob wir spontan an die Ostsee fahren wollen. Grundsätzlich müsste ich nein sagen. Der Tag ist geplant und das Wochenende ist dann nicht nur Freizeit, sondern auch Puffer für Nacharbeiten. Ich habe über die Jahre gelernt flexibel zu agieren. Das heißt: Die Sonne scheint, ab an die Ostsee. Um das schlechte Gewissen abzustellen und den tag wirklich genießen zu können, schiebe ich nicht einfach auf, sondern plane um. Es ist nämlich nicht egal, wie wir die Sache benennen. Für mich ist das dann ein Tausch: Freitag ist frei und Samstag regulärer Arbeitstag. Damit haben schlechte Gefühle keine Chance hochzukommen und ich kann den Tag flexibel in Freiheit genießen. Klar ist das alles nur in meinem Kopf. Für mich macht es aber einen Unterschied, einfach nur aufzuschieben, oder mit mir einen Vertrag zu schließen.
Wir können durchaus unseren Frieden mit dem Aufschieben finden. Als Prokrastination spricht man in der Psychologie erst dann, wenn eine sogenannte "Arbeitsstörung" vorliegt. Pathologisches Aufschieben ist dann aufschieben plus schlechtes Gewissen. Menschen, die darunter leiden bekommen irgendwann nichts mehr erledigt, es herrscht Terminstau und es geht ihnen in Folge richtig schlecht. Dafür ist letztlich meist allerhand unwesentliches erledigt. Trotzdem: Der Preis des Aufschiebens sind oft quälende Gedanken an das nicht erledigte.
Was können wir also tun? Wir dürfen reflektieren und die angebliche "Prokrastination" hinterfragen.
In unserer Kultur gilt anpacken, machen als das Normal. Vielleicht finden wir aber mit diesen Reflexionseinheiten einen Nutzen, sozusagen das Gute am Schlechten. Vielleicht ist die Prokrastination dann gar keine mehr, weil es Wesentlicheres gibt, oder wir sind unserem inneren Schweinehund endlich auf die Schliche gekommen. Alles fließt, heißt es. Nehmen wir also den Flow auf und gestatten uns aus dem Druck herauszutreten und uns in Selbstliebe zu üben. In diesem Sinn, auf die Prokrastination und auf das, was sie uns zeigt, um den nächsten Schritt zu machen. Die Dinge sind eben nicht immer das, als was sie erscheinen. Neu- und anders denken lohnt sich. Ich mach mir jetzt erst einmal einen Tee und genieße die Sonne auf dem Balkon. So denkt es sich einfach besser. Ungeachtet dessen bleibe ich wahrscheinlich "Erregungsaufschieber", weil die letzte Minute eben manchmal auch was hat und mich dann zum effektiven und innovativen Arbeiten führt. Wenn das, mal kein Glaubenssatz ist ;-)
Nachsatz: Es gibt auch noch eine andere Art des Aufschiebens, der ich in diesem Blogpost nicht nachgegangen bin. Es ist das verschieben von Dingen, die man gern mal machen möchte und sie immer wieder vertagt. Im Wissen, dass unser Leben endlich ist, führen sie uns in Traurigkeit und Reue. Zeit ist nicht wiederbringlich. Wer will sich schon irgendwann fragen: Warum habe ich damals nicht …? Ich glaube, hier steckt Stoff für einen neuen Artikel über den Mut zum Leben & zum Jetzt.